Harz IV

  

Die Zwangsversteigerung der Armen
Oder "Haste mal 'nen Euro-Job?"

 
Stellungnahme der Straßensozialarbeit Rahlstedt zur bevorstehenden Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe durch das SGB II und deren Folgen

Seit die Sozialreformen unter dem Titel "Agenda 2010" in Gang gesetzt worden sind, findet ein massiver Ab- und Umbau des Sozialen Versorgungsnetzes statt. Zusammen mit den Mindereinnahmen durch die Steuerentlastung und den Umwidmungsstrategien sozialer Haushaltsposten von Kommunen und Ländern, wurden bzw. werden gerade in Hamburg in unverantwortlicher Weise u.a. Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen, Drogenhilfeprojekte, Beratungsstellen, Frauenprojekte massiv gekürzt oder ganz gestrichen. Mit dieser Finanzierungs- und Umstrukturierungspolitik wurde und wird auch an den Schulen und Kitas bis zum drohenden Kollaps eingespart (Aufschiebung dringender Sanierungsarbeiten an mehreren Schulen; Erhöhung der Klassen- bzw. Betreuungsdichte; Bevorstehende Schulschließungen in dramatischer Anzahl; Extreme Einsparungen im Kita-Bereich trotz deutlich erhöhtem Bedarf; uvm.). 

Jetzt sollen mit Hartz IV seit dem 1.1.2005 zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen werden: Zunächst werden die Kosten der Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger drastisch reduziert und gleichzeitig die Betroffenen zur Verrichtung sog. "gemeinnütziger" Arbeit zwangsweise herangezogen. Die großen Wohlfahrtsträger haben sich anfangs mehrheitlich positiv zum Prinzip der Ein-Euro-Arbeit geäußert, wollen sie doch damit zumindest ihre seit mehreren Jahren offenen Zivildienststellen besetzen. Darüber hinaus wird schon über zusätzliche Einsatzmöglichkeiten spekuliert. So wird unverhohlen über den Ein-Euro-Einsatz langzeitarbeitsloser Eltern in den Kitas nachgedacht. So meint Manfred Ragati von der AWO: "Wer ein Kind großgezogen hat, der ist qualifiziert in der Kinderbetreuung, auch wenn er keine pädagogische Ausbildung hat". Wenn dem so wäre, fragen wir uns, warum so viele Kinder bei uns ankommen, die sich nicht mehr nach Hause trauen?!

Was ist uns qualifizierte Kinderbetreuung und Jugendarbeit wert? Nur 1 Euro pro Stunde?! Auf dem Rücken von auf Hilfe angewiesenen, zwangsverpflichteten Arbeitslosen? Die Bundesagentur für Arbeit sagt selber, dass die Ein-Euro-Jobs i.d.R. keine Qualifizierungsmaßnahmen für den ersten Arbeitsmarkt sind. Es sind Arbeitsmaßnahmen, die die Arbeitsfähigkeit und -willigkeit des jeweiligen Hilfebeziehers unter Beweiß stellen sollen. Deutlich macht sie, dass es sich um eine Zwangsveranstaltung handelt. So muss der Betroffene den zugewiesenen Ein-Euro-Job ohne murren annehmen (meckern könnte als mangelnde Zusammenarbeit ausgelegt werden), will er nicht drastische Sanktionen erleiden oder gar ganz seinen Überlebensbedarf aufs Spiel setzen.

Wir von der Straßensozialarbeit Rahlstedt lehnen Zwangsarbeit kategorisch ab und stehen mit einigem Unverständnis den positiven Äußerungen von Wohlfahrtsverbänden gegenüber. Aber auch bei ihnen schleichen sich mittlerweile immer mehr Zweifel an dem Vorhaben ein. So hatte sich das Diakonische Werk Hamburg im November 2004 aus den Verhandlungen mit der ARGE (Agentur für Arbeit Hamburg und Behörden für Wirtschaft und Arbeit) aufgrund der Leistungsbeschreibung im Interessenbekundungsverfahren des Senates zurückgezogen. In dieser wird deutlich, dass es sich um eine Absenkung der Qualität und Professionalität in der sozialen Betreuungsarbeit und dem Standard beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen handelt. So sollen etwa Schulabbrechern, Migranten-Jugendlichen mit Sprachschwierigkeiten, leistungsschwachen und auffälligen Jugendlichen (Sozialverhalten, Drogen, Straffälligkeit) unter Zwang spezielle Angebote unterbreitet werden, für die aber keine zusätzlichen Finanzierungen vorgesehen sind. Für alle Job-Einrichter gilt der gleiche Satz: 500 Euro pro Monat pro Ein-Euro-Job, von denen u.a. die Mehraufwandsentschädigungen der Jobber von mindestens 120 Euro (1 Euro pro Stunde bei maximal 30 Stunden die Woche) zu bestreiten sind. 

Dies lässt vermuten, dass es sich mehrfach um verwahrende und reglementierende Angebote handeln wird, an deren Einrichtung sich mehrheitlich Unternehmen mit wirtschaftlichen Interessen beteiligen werden. Sichtbar wird dies an den Grundsätzen der Leistungsbeschreibung, in der die ARGE darauf hinweist, dass der Beschäftigungsträger nicht gemeinnützig sein muss. Auch das Vorhaben, den regulären Arbeitsmarkt nicht mit Ein-Euro-Jobs aushebeln zu wollen, bleibt so nicht mehr als ein Lippenbekenntnis.

Auf lange Sicht wird es keine neuen versicherungspflichtigen Arbeitsangebote geben und die gemachten Arbeitserfahrungen im Rahmen der Ein-Euro-Beschäftigungen werden keine arbeitsmarkt-relevanten Qualifizierungen schaffen. Demzufolge werden sich Menschen aus dieser zwangsreglementierten Armutsfalle kaum herausbewegen. Die große Befürchtung ist, dass sich am Ende Ein-Euro-Jobber um Ein-Euro-Jobber kümmern werden, beaufsichtigt von Fallmanagern und den Beschäftigungsträgern. Das läuft darauf hinaus, dass zukünftig - über SGB II gesetzlich festgeschrieben - zwischen den guten und den bösen Armen unterschieden wird: Während die, die sich beugen, zumindest in ihrer Armutsfalle keine größeren Sanktionen zu erwarten haben, werden diejenigen, die diese Form der Armenbekämpfung ablehnen oder sich ihr nicht erwehren können, eine eigene Klasse außerhalb der Gesellschaft bilden. Und diese wird - aus der Not heraus - teils mit aggressiven, illegalen bzw. selbstzerstörerischen Mitteln um das tägliche Überleben kämpfen müssen. Diese Klasse gibt es schon seit langem, aber mit Hartz IV wird ihre Anzahl sprunghaft ansteigen und gerade die Teile der Bevölkerung erfassen, die zwar jetzt noch mit der Grundsicherung der Sozialhilfe bzw. Arbeitslosenhilfe - mehrheitlich schlecht als recht - überleben, die aber ab 2005 den zunehmenden Anforderungen an den Hilfebedürftigen nicht standhalten können. 

Wir können aus unserer fast 25 jährigen Erfahrung in der stadtteilorientierten Straßensozialarbeit vor einer derartigen Entwicklung nur warnen und fordern zu einem verstärkten Dialog unter Einbeziehung gemachter Erkenntnisse in den verschiedenen Projekt-Bereichen der Sozialen Arbeit auf. Hierzu sind alle aufgefordert, die trotz der Wettbewerbsbedingungen bereit sind, solidarisch mit den Betroffenen gemeinsam zu streiten.

Arm und Reich

Unser viel gepriesener Sozialstaat (Lösung der Primärbedürfnisbefriedigung, kein Hunger und Frieren) wird immer mehr Motor wachsender Ungleichheit, weil er die Hauptlast der Solidarität den kleinen Lohnhilfeempfänger aufbürdet und die großen Einkommen schont.

Seine Umverteilungsmanieren oben schonen - unten nehmen, ein ungerechtes Steuersystem und den Zinseszinseffekt fördert die Entstehung der riesen Vermögen, die dann auf der Suche nach besten
Renditen rund um den Globus ihre Spuren sozialer und ökologischer Verwüstung hinterlassen.
Daraus wird am Anfang nur kleine nationale Ungerechtigkeit. Am Ende schließlich großes Globales Unrecht und Elend.

Der Vorstand von STREETLIFE ist der Meinung, dass wir Menschen uns das Recht Nehmen sollen die wirtschaftlichen globalen Zusammenhänge zu betrachten, und dann besser Beurteilen zu können, was im Kleinen eigentlich bei uns im Viertel mit den Menschen für die wir uns in unserer Arbeit vor Ort verantwortlich fühlen eigentlich abgeht.